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... kollektiv mit Gänsehaut 11.16 Uhr bis 12.39 Uhr Goehtestrasse wie immer. Unbeindruckt, geschäftig. Ich suche nach Anzeichen des bevorstehenden Ereignisses. Jemand bleibt stehen, wirft einen prüfenden Blick nach oben. Wolken. Später fängt es an zu regnen, hört aber auch wieder auf. Allmählich wird es ruhiger in der Strasse. Weniger Autos, weniger Menschen. Die Kinder der Gemüsehändler kichern; wie das aussieht mit der viel zu großen Brille! Bahnhofsvorplatz, Gesichter gen Himmel gerichtet, junge Frau versucht die Brille zwischen Kameralinse und Sonne zu halten. Ich richte meine Linse auf die Leute und alle halten mich für Presse. Der Mond hat sich nun schon halb über die Sonne geschoben. Vor der HypoVereinsbank Belegschaft mit Sektgläsern, im Eingang vom gap eine Tafel: kurzfristig geschlossen. Ein einsamer LKW-Anhänger steht verlassen gegenüber. Da bemerke ich das eigenartige Licht, Verdunklung, allmählich. Eine seltsame Beklommenheit kriecht über den Asphalt, kein Auto mehr. Die Ladeninhaber treten vor die Türen, die Polizisten in den Polizeiautos setzen ihre Brillen auf. Die Menschen schweigen. Es wird still. Die Erde wartet. Die helle Sonnensichel wird schmaler, nur ein hauchfeiner Streif noch. Und während ich den Vorgang durch die Brillenfolie beobachte sehe ich gleichzeitig meine eigenen Augen. Wirrer Wind kommt auf, Sprühregen. Der letzte Lichtblitzer verschwindet hinter schwarzer Scheibe. Finsternis. Einer jubelt verhalten, eine schreit. Am Himmel ein Stern und die gleisende Korona der verdunkelten Sonne. Wirft seinen riesigen Schatten über die Welt, rötliche Wolkenformationen, Trutzburgen himmlischer Giganten, gewaltig und schön. Sieht so das Ende aus? Ehrfurchtsgebietend, erhaben, sublim zugleich und fantastisch. Den Menschen in seine Grenzen, seine Mickrigkeit verweisend, kosmisches Lehrstück, über die menschliche Eitelkeit und Selbstüberschätzung. Was, wenn die Sonne bleibt wie sie ist, ab jetzt für immer verborgen? Natürlich kam die Sonne wieder zum Vorschein, Leben, und das war dann doch eine große Erleichterung. Paar Sekunden lang dachte ich noch, der Mond überlegt es sich anders, wandert retour. Da war dieses Zögern, dieses lunare Zwinkern. 12.40 Uhr, alles vorbei. Die Leute ziehen ab, ziemlich schnell, zurück in die Tretmühlen, ins Tagesgeschäft. Irgendwie Enttäuschung, nichts passiert. Oder doch? Wir haben den Weltuntergang überlebt, das ist doch was! |
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