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... HEIMATMUSEUM, Exponat Nr. 25 (3. April, 2001)

Nr.25 Der Brunnen ist noch nicht aus dem Haus. Bretterverschlagen wartet er auf eine Osterüberraschung. Bomben auf Golgatha oder 'Bush launches the Öko-War Campaign'. Rund um den Rotkreuzplatz künden Plakate vom Motto des diesjährigen Ostermarsches: Friedenspolitik statt Kriegspolitik. Für das bis zum Jahr 2007 in Auftrag gegebene Volumen an Militär-Flugzeugen vom Typ A 400 M könnte man 1.650 Grundschulen mit jeweils acht Klassen bauen, rechnet die Stadtzeitung der DKP München. Bildung tut not. Bildung tut weh. Niemand etwas dazugelernt, allenfalls auswendig. Vom Eise befreit sind Strom und Bäche; dieselben die alles nun hinuntergeht: Friedensprozesse und Klimakonferenzen und die Aktienkurse sowieso.

Ein praller Ringelbeiner macht erste Gehversuche an den Händen seiner wohlgenährten Mutter. Man trägt überquellende Eistüten von Sacletti. Räder aller Art rattern über das Kopfsteinpflaster des Platzes: Kinderwagenräder, Inlinescate-Rollen, Tretroller-Räder, Fahrräder. Im Schaufenster von Tschibo werden Auslagen bestaunt, Unterhosen, High-Tech Produkte für Biker. 300 Millionen Pfund Röstkaffee werden jährlich von Tschibo verkauft. Die Hälfte des Umsatzes macht Tschibo jedoch mit Non-Food Artikeln. Der Mutterkonzern von Tschibo, die Tschibo Holding AG, ist Inhaber der Reemtsma Tabakwaren GmbH und besitzt eine 24 % Beteiligung an der Beiersdorf AG. Kaffee, Tabak, Kopfschmerztabletten.

Auf einem der Ziegelsteinpoller ein Penner. Bart, wettergegerbtes Gesicht, schmutzige Fingernägel. Er sitzt vornübergebeugt, apathisch, nur manchmal, da zuckt seine Hand wie zu einer Geste. Nach einer Weile steht er auf, schwankt eine halbe Runde um den Poller, kann sich nicht aufrecht halten, sinkt auf den Stein zurück, zündet eine Zigarette an, raucht. Dann sitzt er wieder vornübergebeugt, apathisch, nur manchmal, da zuckt seine Hand wie zu einer Geste. Nach einer Weile steht er auf, schwankt eine halbe Runde um den Poller, kann sich nicht aufrecht halten, sinkt auf den Stein zurück. Seine Hand mit dem Zigarettenstummel zwischen den Fingern zuckt. Gestikuliert. Jetzt redet er schon den ganzen Nachmittag auf seinen Freund, den Jim ein. Aber der Jim, der Hund, der saudreckate, macht alles falsch. Den Kasten Bier, den muss er doch in den Brunnen stellen, damit's kalt bleibt. Und aufpassen soll er, dass die Gläser und die Teller net aufs Kopfsteinpflaster fallen und zerdeppern. Und die Stühl' abputzen, die sind staubig vom Winter, mei, jetzt hat er die Tischdecken ganz schief draufglegt. Und wo ist das Besteck, die Servietten? Wo bleibt die Maria? Die wollte doch Blumen bringen für eine Dekoration. So eine Aufregung, hoffentlich kommen's alle rechtzeitig. A bisserl nervös ist er schon. Eine Rede wird er halten, wie es sich für den Gastgeber gehört. Erst wird er sich bedanken, dass sie alle gekommen sind, hoffentlich kommen's alle rechtzeitig. Dann wird er das Glas heben und einfach sagen, schön, dass ihr da seid, dass ihr an meinem Tisch sitzt, hier auf dem Platz, wo wir so gerne sitzen. Lasst es euch schmecken und lasst es euch heute gut gehen und langt zu und esst und trinkt und schaut, die schönen Blumen von der Maria, wir feiern jetzt Ostern. Und dann kramt er aus einer Ecke ziemlich weit hinten im Hirn, kramt er einen Vers heraus, räuspert sich: Hier ist des Volkes wahrer Himmel, zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein! Räuspert sich wieder, klein wenig verlegen, sagt Prost, nimmt einen tiefen Schluck Bier aus dem Glas und das schmeckt, das schmeckt so saugut wie es schon lange nicht mehr geschmeckt hat.


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chlampe an alle