gestern

... Müll hinter Gittern, 8. November

Kalt ist es geworden, bitterkalt sogar. Nachts um elf auf
der Türkenstrasse. Liegt es an dem garstigen Wetter?
Jedenfalls ist auffallend wenig los heute abend. Kaum Leute
unterwegs, lediglich an einer Ampel steht frierend eine
kleine Gruppe im Nieselregen und verabschiedet sich.

Heute führt mich mein Weg zur Nummer 58. Die Schaufenster mit Büchern aus dem Angebot des Antiquariats in der Schellingstrasse täuschen. Hinter der Hausfassade verbirgt sich eher sowas wie ein Studentenwohnheim. Ein Durchgang zum Hinterhof lockt mich. In der Passage ein schwarzes Brett mit bunten Zetteln: "Cargo-Jeans für 89,00 DM", "suche Germanistikstudentin zum Schreiben meiner Seminararbeit, Buch vorhanden", "suche Zimmer in WG", "suche Job", "suche Leben", "suche Sinn"? Im Hof Fahrräder. Da, ein erleuchtetes Fenster im Erdgeschoss. Praktisch. Voyeuristische Neugier stellt sich ein. Ein großer, fast leerer Raum, ein Dartsboard, Sofas, weiter hinten ein Tischkicker. Menschenleer, verlassen.
Komisch, was machen Studenten heutzutage abends um elf? Andererseits erscheint das Angebot auch nicht allzu verlockend, erinnert eher an öde Jugendzentren oder an die nette, weil trieste Tanzszene aus Sonnenallee.

In der Passage betrachte ich die beiden Automaten: Zigaretten und Kondome. Aha. Davor ein ausgemusterter Herd. In der Einfahrt rechts daneben entdecke ich drei Mülltonnen hinter Gittern. Was wird hier erwartet? Randale, Aufruhr? Revolutionäre Studenten, die Altpapier entführen?

Trostloses Stimmung macht sich breit. Oder ist es nur meine eigene einsetzende Novemberdepression?

Zurück auf der Türkenstrasse begegnen mir Menschen, tief in ihre Mäntel und Jacken geduckt, mit kleinen Koffern und Reisetaschen. Was ist denn hier los? Zurück von der Reise? Späte Ankunft für die Fachtagung morgen früh? Plötzlich heimatlos geworden? Unbehaust? Novembernomaden?

Wieso fällt mir Rilke eigentlich immer pünktlich zum November ein?

Ein paar Schritte weiter suche ich Aufmunterung bei den bunten Kunstkatalogen von Goltz. Im Postkartenständer ein Spruch: "Suche fünf fleissige Männer -- oder eine Frau." Stimmt, eine Frau wäre schön heute Nacht.

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chlampe an alle