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... HEIMATMUSEUM, Exponat Nr. 11 (22. Dezember 2000)

Nr.11 Schreibt jemand: "Meine Küche". Ist das ein öffentlicher Ort in München?! Lese ich: meine Küche, und stelle sie hier ins Museum.

Meine Küche riecht nach Zimt. Oder nach Kaffee. Nach Brot im Toaster, nach Duftreis, nach indischem Muskat. Nach Tomtensoße, Majoran. Nach Schalen von Clementinen, nach Abfall, der längst in die Tonne gehört. Nach Blaukraut bleibt Blaukraut (zweimal im Jahr), nach selbstgebackenem Kuchen (einmal im Jahr). Nach Zigaretten und später kalter Asche. Nach dem Schweiß der Gäste. Nach Pfefferminztee für den Kater und der Katze von nebenan. Nach Tischlein-deck-dich, wenn Gerüche aus der Küche einen Stock tiefer durch die Lüftung kriechen und mich glauben lassen, jemand hätte schon gekocht. Nach Überraschungen. Nach Gnocci in Gorgonzola-Walnußsahne, nach fliegenden Pfannekuchen und Nico Vanille, nach ligurischem Olivenöl, nach Griesbrei, wenn sonst nichts mehr geht. Nach nichts nach drei Wochen Urlaub.

Meine Küche ist klein. Gerade groß genug, um es sich darin gemütlich zu machen. Da steht ein Herd, eine Spüle, darunter Waschmaschine, der Mülleimer nebendran, Kühlschrank mit Eis im Fach, in der Ecke Vorratsregal wackelnd. An der Wand gegenüber der Schiebetürenschrank, Second Hand, für Geschirr. Der Fußboden schluckt Brotkrümel. Das Fenster nach Westen. Der Himmel blau, blauer am blausten. Dunkelblau. Dann Nacht. Eine Kerze flackert. Sie flackert seit damals, weißt du noch, als wir sie im Devotionalienhandel kauften für ein Fest. Da steht ein Tisch aus Holz, zwei Stühle und ein kaputter für die Zeitungen von gestern, für müde Füße.

Auf dem Küchentisch liegen Fotos. Viele Fotos. Unsortiert, uneingeklebt, manche mit geknickten Ecken, manche berührt von zu vielen Fingern. Zu manchen fehlen die Negative, zu anderen die positive Einstellung. Wieder andere fehlen gänzlich, zerrissene Fotos, weggeschmissene, verbrannte. Fotos, die niemand je schoß. Da sind die lächerlichen Fotos und die zum lachen, die rührenden und die peinlichen. Die süßen Kinderfotos, die misslungenen Akte, die Bilder von Mamapapatanteonkelopaomama. Da ist ein lange gesuchtes, ein nie vermisstes, eines, das jedesmal wieder verwundert. Das Foto von der Meterbratwurst und das Foto des Schauspielers, dessen Namen ich mir nicht merken kann. Fotos aus der halben Welt. Fotos aus heilen Welten. Heil weil haltbar weil festgehalten auf Fotopapier. Auf einem Bild sitze ich in meiner Küche und proste dir zu.


Meine Küche ist zu groß, die Museums-Vitrine zu klein. Der Kühlschrank brummt, er heißt nicht Bosch. Edith singt: Rien, rien ne rien, je ne regrette rien. Ich stelle die Kamera aufs Fensterbrett und zähle bis drei.

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chlampe an alle