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... Gänsekleinhäutchen ­ 31. Mai 2002


Hänschen klein, Häutchen so fein, dass selbst Hans, inzwischen ausgewachsener Molekularbiologe, es nicht fassen kann. Er hatte alles aufs Genaueste untersucht, Zelle für Zelle, Chromosom für Chromosom, nur damit nicht gerechnet: zu entdecken, was nicht existiert. Eines Tages sah er es mit bloßem Auge. Unerklärlich, woher es kam. Er blinzelte, da war es verschwunden.

In einem einzigen Meter Seide findet sich der unendliche Weltraum, schrieb ein alter Chinese. Er wußte - 261 n. Chr. geboren, hingerichtet 303 - sicher nichts von Ribosomen oder Klonen. Er ahnte nichts von den Sonden und Satelliten, die fast zweitausend Jahre später jene kosmische Unendlichkeit in Frage stellen sollten. Aber wie Hans hatte er etwas mit seinem Sinnen berührt, was es eigentlich nicht gibt.

Eigentlich, scheinbar, irgendwie; was mag das sein, was man sich unentwegt akribisch adjektivisch so vehement vom Leibe hält? Wo versteckt man einen Meter Seide, ihn möglichst nie zu finden?

Seide, Haut, Membrane. Mauern, die dünner sind als die Luft in schwindelerregender Höhe. Zeitspannen, die kürzer sind, als der unbedachte Schritt des Kindes auf die stark befahrene Straße. Ein Händedruck, der erst im Nachhinein der letzte gewesen sein wird. Zwei Brüste in gelbem Pullover, die sich darin nicht wieder abzeichnen werden. Du wolltest doch noch etwas fragen.

Ein weißlich-trüber Film bedeckt das Auge der alten Katze. Sie hat zu viel gesehen, zu viel ist hängengeblieben wie auf einem Schmierfilter. Jetzt sieht sie kaum noch. Sie hat sich zurückgezogen hinter ihr mattes Augenlicht, bewegt sich langsam, ihre Zeit ist jetzt eine andere. Sie hat nichts mehr vor sich.

Einen Atemhauch früher. Hinter der Zaunlücke galoppiert ein weißes Fohlen vorbei. Am Ende wird es weniger gewesen sein als das.


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chlampe an alle </BODY>