heimatmuseumII
chlampe an alle
 
. 30 - Wiesenlust. Danach kann es keinen Zweifel mehr geben. Nicht in dieser Sache. Er nennt es 'spring'. Kratzt sein unrasiertes Kinn. Über die Jahre, sagt er, habe er ein untrügliches Gespür dafür entwickelt. Für den exakten Zeitpunkt, den Moment, nach dem es keinen Zweifel mehr geben kann. Ein bestimmter Tag irgendwann Ende Januar / Anfang Februar. Da passiert es. Ohne Vorankündigung. Jedes Jahr an diesem einen Tag. Und wenn man nicht aufgepasst hat, wenn man nicht wachsam gewesen ist, nicht genau geschaut - die Ohren aufgestellt, Nase unverschnupft, sämtliche Körperhärchen in Vibrationsalarmbereitschaft - wenn man, was purer Dilettantismus wäre, sich von einer Schneeschicht täuschen ließe oder von der Kälte, oder, was auch möglich sei, plötzlich auftretende Heißluft, den sogenannten Fön, irrtümlich für Frühlingsgefühle hielte, ...

Einer von denen, die mich besuchen. Sie kommen unangemeldet. Stehen schüchtern in der Tür, ich bitte sie herein. Früher oder später fangen sie dann an, jeder von ihnen, jede. Zu erzählen. Früher und später lassen sie ein kleines Teil bei mir. Von sich. Ein Versprechen fast, ja doch, auf mehr. Sie kommen unvorbereitet, danach sind sie zweifellos da gewesen. Wie das Grün, das allererste Grün, von dem mir einer berichtete. Er.
Sie kommen irgendwann, wir sitzen zusammen am Tisch, am Rand vom Bett, auf vier Arschbacken und meinem Fensterbrett. Das Grün, sagt er, habe auch eine Stimme. Die erstbeste wiedergekehrte Zugvogelstimme. (Ein Gehen und Kommen und eine selbstentfaltende Geschichte sein.) Ich liebe sie natürlich alle! Nachmittags trinken wir Whisky, am Abend Wein und nachts aus Wassergläsern Tee.

Wenn du aber dieses Grün bemerkst, verrät er, wie es nur einmal im Jahr zu bemerken ist, weil nur einmal im Jahr das Grün in den Spitzen des aus harter Winterkruste sprießenden Grases ein vollkommen anderes Grün ist als noch am Tag zuvor, und egal welche Vorbehalte man auch sonst haben mag (gegenüber Landschaften, Gesichtern, Prognosen, Deuteleien), wenn du einfach weißt, dass du ganz Außer- und doch völlig gewöhnliches bemerkt hast, etwas von größter Unwahrscheinlich- und doch Gleichzeitigkeit - er hält inne, zieht aus der Jackentasche einen altmodischen Wecker, so einen runden mit unten Füßchen dran, oben zwei kupferfarbenen klingeltauben Schellen. Tastet geübt den Stand der Zeiger auf dem Zifferblatt. Muss los, murmelt er. Während er sich erhebt, den Wecker wieder in die Jackentasche stopft, hüstelt und 'na dann' ruft, fällt mein Blick auf seine Schuhe. Seine schwarzen, nicht mehr neuen Schlangenlederstiefeletten. Socken trägt er offensichtlich keine. Aus den Löchern der Schnürsenkel wachsen dünne Büschel Gras.
 

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