gestern

... Überquerungen

Komische Vorstellung von Romantik haben diese 68er. Mein Held hier, auf dessen Anweisung ich nun trotz Wind und Wetter den "goldlilablauroten" Himmel über Moosacher Bahngleisen suche, scheint einer von ihnen zu sein.

Wann fängt man an, sich fremd zu fühlen?

Wenn das letzte Wohnhaus mindestens 7 Busminuten entfernt, der Himmel statt golden grau verhangen und es dunkler, dunkler wird. Wenn ein Auto am Straßenrand parkt im Gebüsch, andere Personenkraftwagen rasen augenlos vorrüber. Wenn es zu regnen beginnt, der Sturm die Speichen des Regenschirms verbiegt und die Schrift im Notizblock Tränennass verschmiert. Wenn man sich allmählich fragt, was man da eigentlich tut. Auf der Brücke über den abgestellten Güterzügen. Scheißkalt ist es, Flüche, Selbstgespräche, hört ohnehin keine Menschenseele. Verdammt, Held, vielleicht war es ja Sommer als du hier im Gras gelegen, die erste Liebe zwischen den Gleisen vernascht, danach ein Bad im See ohne Namen, wo heute Baden verboten und der Baum, an den du eure Klamotten gehängt hast, längst gefällt. Vielleicht strich eine leiser Wind (nicht so einer wie heute!), ein leiser Wind die Oberspannungsleitungen, sanfte Melodien, Arkadien. Vielleicht hast du Mohnblumen gepflückt und ein Marienkäfer krabbelte über ihren Bauch. Vielleicht habt ihr in den Himmel geschaut und der hatte wirklich eine goldlilablaurote Farbe oder die ganze Welt hatte diese Farbe und ihr habt geträumt, wie es wäre, einen dieser Güterzüge zu besteigen, heimlich, einfach davonzufahren, irgendwohin. Über den Brenner, nach Italien. Nach Fontamara.


Oder, aber das stelle ich erst beim Vergleich des neuen mit dem uralt zerfledderten Falkplan fest, dein Güterbahnhof ist ganz woanders, nicht dieses schaurige Riesen-Areal, das sich in der 57. Auflage noch im Bau befand!


Zurück zu Fuß. Den ganzen Weg bis zur Tramhaltestelle. Zurück ins Warme. Dann am Ziel dieser Sonntagnachmittagsodyssee - andere Leute führen ihre Hunde Gassi: Tasse heißer Kaffee.

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chlampe an alle