Das ganze Web eine Bühne
(Fortsetzung; Seite 2)

Damit komme ich auf den vorhin bereits erwähnten Wettbewerb mit dem Titel "webscene" zurück. Theater- und Performance Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt waren gefragt, ein Projekt für das Medium Internet zu konzipieren. Ich zitiere aus der Ausschreibunsgtext:
"Das Theater als künstlerische Institution wird sich den neuen Fragen stellen müssen, will es nicht in Gefahr geraten, im Rahmen der Entwicklung der Internet-Kommunikation sich als Kunst von anderen Künsten zu isolieren. (...) Die Radikalität der Entwicklung erfordert möglicherweise radikale (In)Frage-stellungen. Kann die künstlerische Intention und der Gestaltungswille von Theatermachern auf der Bühne des Internet eine Fortsetzung finden? Kann der Begriff 'Theater' in den spezifischen Möglichkeiten des Internet neu gedacht werden? Kann hier eine neue Kunstform entstehen?

"webscene" will einen Impuls geben und startet erstmals den Versuch, theatrale Netz-Performances, in die Welt zu setzen und im globalen Datenraum aufzuführen. Als Innovation und als Herausforderung an alle kreativen Geister, einen Raum zu erobern und neue Modelle des Gestaltens in einem rundum offenen Experimentierfeld zu entwickeln oder auszuprobieren. Aus diesem Gedanken heraus werden keine inhaltlichen Beschränkungen vorgegeben und auch keine exakten Definitionen, was denn eine 'Inszenierung' im Netz sein könnte. (...) Es werden nur Projekte zum Wettbewerb zugelassen, die ausschließlich für das Medium Internet konzipiert sind."
Insgesamt 51 Konzepte wurden daraufhin eingereicht und von der Jury gesichtet. In der Jury saßen Gottfried Hattinger für das Theaterfestival SPIELART, Cornelia Albrecht für das Stadtforum München, Gerfried Stocker von der Ars Electronica, Marie Zimmermann von den Wiener Festwochen und ich als Vertreterin des Medienforum München.

Das Niveau der Beiträge war überraschend hoch und zeigte eine breite Vielfalt an Überlegungen und Ideen. Allerdings war auch nicht das neue, innovative, nie dagewesene Internet-Projekt dabei, das man sich insgeheim vielleicht erhofft hatte. Interessant waren jedoch die verschiedenen Konzepte insofern, als man daran das Spektrum der Möglichkeiten ablesen kann, was derzeit im Internet vorstellbar ist. Und auch, warum mehr eben nicht vorstellbar ist; vorstellbar ganz im Sinne einer theatralen Vorstellung gemeint.

Das Folgende stellt den Versuch einer Kategorisierung dar, exemplarisch belegt durch ausgewählte "webscene"-Projekte. Die Kategorien beziehen sich dabei in erster Linie auf die grundsätzlichen Herangehensweisen, weniger auf die vorgeschlagenen Inhalte. In etwa so wie man differenziert zwischen Oper, Schauspiel, Ballett, Improvisationstheater, Puppentheater, etc.; Inhalte wären dann die eigentlichen Stücke, die gespielt, getanzt, gesungen werden, z.B. Hamlet, Romeo und Julia, Schwanensee.

Was die Inhalte betrifft müssen einige Konzepte als relativ einfallslos bezeichnet werden, eben: Hamlet, Romeo und Julia, Internetvarianten eines Tschechov-Stücks und der Göttlichen Kommödie von Dante. Andere Bewerber suchten sich zeitgenössischere Sujets heraus: das Leben und Wirken Muhamet Alis oder Jack Smiths (Vater der Performance Kunst).
Darüberhinaus kamen Themen vor wie Arbeitslosigkeit, Neue Mitte, die Situation der Flüchtlinge in Equador. Ein Projekt nennt sich "Der Kuss" und eines beschäftigt sich mit Atem und atmen.
Spannend schienen auch solche Projekte, die sich auf die ein oder andere Weise mit den spezifischen Gegebenheiten des Netzes auseinandersetzen. Eines heißt "Trash" und hat den alltäglichen Informations-Müll zum Gegenstand, ein anderes "Infonoise" und forscht dem Rauschen in den Netzen und Kanälen nach.

Nun aber zu den angekündigten Kategorien, sechs an der Zahl.

Kategorie 1: "Net-Theatre"
So lautet der Titel eines der eingereichten Projekte. Was sich dahinter verbirgt ist eigentlich nichts anderes als die, einem konventionellen Theater nachempfundene Website.
[Struktur]
Ein anderes Konzept, das ich ebenfalls in dieser Kategorie einordnen würde und sich "Virtuelles Theater" nennt, liefert die Beschreibung eines passiven und aktiven Users. Der passive User wählt ein Stück aus ("Macbeth"), die Art der Interpretation des Stückes ("zeitgenössisch", "multikulturelle Besetzung"), er bestimmt Kostüme, Masken, Spielumgebung und zahlt dafür per Kreditkarte. In Cyber-Anzug und 3D-Brille auf den Augen wohnt er anschließend dem Geschehen bei. Der aktiver User kann im "Virtuellen Theater" auch selber mitspielen, sogar in mehreren Rollen ...

Kategorie 2: Spiele
Als Spiele möchte ich Projekte bezeichnen, bei denen der User aktiv, bzw. interaktiv das Geschehen beeinflußt, bzw. sich durch sein Eingreifen durch die "Handlung" bewegt. Vergleichbar mit dem Aufbau eines Computerspiels existieren mehrere Levels, der User muss gewisse Aufgaben erfüllen, z.B. einen Fragebogen beantworten, und hangelt sich so durch die diversen Schichten der Site. Bei einem dieser Spiel-Projekte geht es um die Austragung eines Rittertourniers, eine Art "Reality Game". Zunächst durchläuft der User eine Reihe von Zugangsrätseln, um sich zum Ritter zu qualifizieren. Anschließend finden Tourniere und ein Stechen statt; das Netz als Spielfläche, online interagieren Internet-Akteure mit Video-gestreamten Schauspielern und Tänzern, es gilt Punkte zu sammeln und sich durch "körperliche / erotische attraktivität und durch wissen / intelligenz" hervorzutun.

Kategorie 3: Software
"Künstlersoftware" war ja bereits beim diesjährigen Medien- und Kunst-Festival transmediale ein Thema. Bei "webscene" wurden zwei Arten von Software-Konzepten eingereicht. Zum einen reine Produktions-Software, um dezentral an Theaterproduktionen arbeiten zu können (beispielsweise um gemeinsam ein Bühnenbild zu entwerfen). Die japanische Gruppe NEST schlug eine Choreografie-Software vor, die die remote-Steuerung von Performern und Bühnenbildelementen regelt, um dadurch "dynamic live performances" zu kreieren.
Zum andern lagen der Jury Projektideen vor, bei denen Software dazu dient, eine Story zu erzeugen. Zum Beispiel die einer "humanoiden" Suchmaschine. Die Suchmaschine entwickelt nach und nach ein Eigenleben, verwickelt den User in einen Dialog, der wiederum allmählich zu einem amourösen Textaustausch führen soll.

Die vierte Kategorie nenne ich "Blue Box" Projekte.
Das Prinzip funktioniert so, dass verschiedene performative Elemente räumlich getrennt voneinander produziert und anschließend oder in real time auf einer Website zusammengemischt werden. Ein Tänzer in Australien und eine Schauspielerin in München tanzen und schauspielern jeweils vor Ort, werden dabei gefilmt und Aufnahmen von ihnen via Webcam live übertragen. Aber erst durch den Zusammenschnitt der beiden Solo-Performances und durch Beimischung weiterer Elemente (Bilder, Sound, Text) entsteht die eigentliche Aufführung, die dann auch nur im Netz als solche wahrgenommen werden kann.

Kategorie 5: Prozessgesteuerte Aktionen.
Darunter fallen Internet-Aktionen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, ein halbes Jahr oder länger. Bei denen man daher nicht von einer "Aufführung" in dem Sinn sprechen kann, dass die Präsentation um 20 Uhr beginnt und um 22 Uhr zu Ende ist, oder fünf Tage lang eine Website "bespielt" wird. Hier wurden zwei Projekte eingereicht, die sehr ähnlich sind. Bei beiden Projekten geht es um den Aufbau einer Schein-Institution. Im einen Fall eine Firma, die Bio-Grafien herstellt, im anderen Fall um eine Agentur, die sich erst später als Kunstprojekt enttarnt. Bei beiden Projekten wird zunächst ein Firmenprofil entwickelt, Stellenangebote werden online gestellt, Bewerber ausgesucht; beide Projekte spielen mit der Fiktionalität des Internets. Sie täuschen etwas vor, eine seriöse Firma oder Agentur - also alles andere als Kunst oder Theater ­ erst allmählich merken die mittlerweile involvierten User, was da eigentlich gespielt wird.

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