Das ganze Web eine Bühne (Fortsetzung; Seite 3) Sechste und letzte Kategorie: "FakedFiction". Darunter fallen insbesondere die beiden Projekte, die von der Jury als Gewinner prämiert wurden. Das eine Projekt ist das Internet-Roadmovie "FLUCHTEN!" von Kerstin Evert, Regina Wenig und Michael Wolters, und der andere Projektvorschlag kommt von der deutsch-englischen Gruppe Gob Squad [7]: "Missing". Ich zitiere zwei Abschnitte aus der Pressemeldung zur Preisverleihung und denke, dabei wird schnell klar, was ich mit "FakedFiction" meine. Internet Roadmovie Gob Squad: "Missing" (Arbeitstitel)Was die Jury für diese beiden Konzepten sofort vereinnahmte, waren die Geschichten, die erzählt werden. Dass überhaupt Geschichten erzählt werden und diese auch immer im Vordergund bleiben und nicht dem Medium untergeordnet sind. Dabei setzen sich beide Projekte dennoch mit dem Medium Internet auseinander, greifen auch beide wieder das Thema der Fiktionalität auf. Was ist echt, was ist live? Kann und darf man allem glauben, was im Web geschrieben und gechattet wird. Darüberhinaus macht sich FLUCHTEN! die Ästhetik der Web- und Überwachungskameras zu eigen, spielt dabei mit etwas sehr Internet-Technologie-spezifischem, nämlich den verwackelten, flüchtigen Bildern gestramter Videos. "Missing" dagegen thematisiert auf eine versteckt ironische Art den ganzen Wettbewerb. Geht es doch bei ihnen um vermisste Körper. Jene Körper, fragt man sich da, die es dann doch nur im Theater geben kann und die im großen weiten Cyberspace nirgends zu finden sind. Was tatsächlich aus diesen Konzepten wird, muss man abwarten. Das Projekt "Missing" wird noch dieses Jahr für das Theaterfestival SPIELART produziert. Da der Preis in Kooperation mit der Ars Electronica vergeben wurde, wird eine erste Preview im September 2001 in Linz gezeigt werden, und die fertige Produktion dann im November in München, bzw. World Wide im Web. Im Sinne eines Fazits möchte ich eine Beobachtung und eine Bemerkung anschließen. Vorab sei gesagt und dessen bin ich mir durchaus bewusst dass der obige Kurzüberblick und die vorgenommene Kategorisierung den 51 bei "webscene" eingereichten Konzepten sicher nicht gerecht werden konnte. Man könnte sicherlich lange Artikel über jedes einzelne Projekt verfassen. Das habe ich nicht getan. Vielmehr wollte ich versuchen, anhand der Beispiele aus dem Wettbewerb das Potential des Internets als "Bühnenraum" auszuloten, bzw. das Potential des Kunst-Genres Theater untersuchen, im Hinblick darauf, ob theatrale Herangehensweisen neue Impulse oder andere Gestaltungsmöglichkeiten für das Medium Internet liefern können. Zuerst also eine Beobachtung. Bei einer Mehrzahl der vorliegenden "webscene"-Konzepte ist die Rede von der Nutzung der Streaming-Technologie. Die Körperlichkeit von Schauspielern, so die Idee, soll mittels Video-Streaming ins Netz geholt werden. Ich möchte hierzu die Site eines Tänzers und Mediengestalters aufrufen, der bereits ein Tanz-Projekt realisiert und sich mit dem Ausbau dieses Projektes am Wettbewerb beteiligte. Dem Grundgedanke seines Projektes "Collecting Movements" zufolge, soll das World Wide Web als Aufführungsort für choreografische Inszenierungen genutzt werden (siehe: www.digital.hdk-berlin.de/~thaase/collecting_movements/welcome.html). [8] Was man jedoch bei "Collecting Movements" beobachten kann, ist eine Transformation. Ich sehe Videos. Tolle und teils wirklich gelungene Videos, die in ihrer Kürze und Konzentriertheit hervorragend für eine Online-Präsentation geeignet scheinen. Aber es sind eben Videos und was ich rezipiere, sind Videofilme und keine Tanzaufführungen. Denn was eine Live-Performance von diesen Video-Präsentationen unterscheidet ist gerade der Live-Charakter, und selbst wenn diese Filmchen nun nicht geloopt wären und auf der Website geschrieben stünde, dass es sich um Live-Mitschnitte handelte, würde das zum einen nichts an der (Video-)Ästhetik ändern, zum anderen würde dann wieder die eingangs von mir erläuterte Glaubensfrage gestellt werden müssen. Meine Schlußbemerkung zielt auf die mit dem "webscene" Wettbewerb angeregte Suche nach der künstlerischen Innovation im Internet; Zitat aus dem Ausschreibungstext: "Kann der Begriff 'Theater' in den spezifischen Möglichkeiten des Internet neu gedacht werden? Kann hier eine neue Kunstform entstehen?" Ich behaupte Nein. Damit bin ich dann auch wieder am Anfang angelangt. Vom Ende der Netzkunst, usw. Denn alles, was in der Beschränktheit des Datenraums machbar ist, wurde - so oder so ähnlich - inzwischen gemacht. Von interaktiven Spielen bis zu Live-Streaming Events. Ein wirklicher Innovationssprung hätte zum jetzigen Zeitpunkt viel mehr mit den technischen Machbarkeiten zu tun. Wenn nun auf Projekten wie den vorher vorgestellten das Label "Theater" oder "theatralisch" klebt, so ändert das doch nichts für den User vor dem Bildschirm; ein Videofilmchen bleibt ein Videofilmchen. Oder noch einen Schritt weiter: ein Wettbewerb wie "webscene" hat zwar Interessantes zutage gefördert, aber nicht das, was er hätte fördern können. Ich denke das Neue, Andere lässt sich nicht mehr im Internet allein finden, sondern dort, wo die Grenzen vom virtuellen zum realen Raum auch wieder überschritten werden. Also dort, wo das Medium Internet als eines von mehreren einsetzbaren Medien begriffen und wieder mehr als das was es ist, nämlich eine Kommunikations- und Distributionstechnologie verstanden wird. Denkbar wäre so eine neue, vom 'alten' Theater inspirierte Kunstform allerdings schon; ich würde sie Inter-Aktionen nennen. Sie wäre die Erforschung dieser seltsamen Orte zwischen Realität und Fiktion, die Gratwanderung entlang der Schnittstellen von Echtem und Virtuellem, Lokalem und Globalem; Leben und Kunst. Sie erinnert ein bißchen an die Perfomance- und Happening-Kunst der 60er Jahre. Sie benötigt ein Publikum aus Usern und Zuschauern und beruft sich auf ein "Wir" interagierender Akteure; ohne Publikum könnte sie nicht existieren. Eine solche inter-aktionäre Kunstform wäre sicher nur temporär denkbar, immer einmalig und zweifellos immer auch ein Experiment. [1] http://www.thing.net/~rdom/main_display.html [2] http://www.schauspielhaus.de [3] http://www.spielart.org [4] http://www.aec.at [5] http://www.medienforum.org [6] http://www.stadtforum-muenchen.com [7] http://www.gobsquad.com [8] www.digital.hdk-berlin.de/~thaase/collecting_movements/welcome.html Seiten: 1 - 2 - 3 - zurück zur Übersicht Theorie |
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