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Insgesamt erweist sich als der zentrale Unterschied zwischen den Theaterexperimenten der synchronen computergestützten Kommunikation und dem Theater des Real Life die Form der Präsenz der Beteiligten. Die Schauspieler des Hamnets und ihr Publikum sind sich nicht präsent, sie sind sich telepräsent. Sie teilen sich einen gemeinsamen virtuellen Raum, in dem sie interagieren können, obwohl sie räumlich getrennt sind. Ob diese andere Form der Präsenz dem Theatererlebnis aber wirklich im Wege steht, ist fraglich. Dass es sich bei dieser Frage primär um eine der kulturellen Wahrnehmung handelt, darauf hat schon Elizabeth Burns hingewiesen: "it is determined by a particular viewpoint, a mode of perception" [11] . Ein ähnlicher Ansatz begegnet uns auch in der Medienwissenschaft, wenn zum Beispiel Joachim Höflich betont, dass es von entscheidender Bedeutung ist, "die Einstellung der Beteiligten zu einem Medium zu berücksichtigen" [12] . Wie weit aber die Identifikation von IRC Usern und MUD Spielern mit ihren telepräsenten Fernlingen, die Sherry Turkle treffend als "personae" bezeichnet hat [13], geht, das zeigen die Untersuchungen von Soziologen und Ethnologen, die sich mit den unterschiedlichen Communities im Netz beschäftigt haben. "Real Life ist nur ein Fenster von vielen [...], und es ist gewöhnlich nicht mein bestes" [14] sagt ein befragter MUD-Spieler in Sherry Turkles Buch "Leben im Netz". Anders formuliert heißt das: Meine virtuelle Online-Existenz erscheint mir realer als mein reales Leben. Soziologen und Psychologen sprechen von parallelen Identitäten und parallelen Lebenswelten, Medienwissenschaftler von der Immersion, dem vollkommenen Eintauchen des Users in die virtuelle Welt. Es gibt diverse gut dokumentierte Beispiele für (ernst gemeinte) Hochzeiten im IRC und in MUDs, es gibt Todesfälle und - als wesentlicher Bestandteil der gesamten Online Kommunikation, Sex. All diese Beispiele zeigen erstens, wie weit die Akzeptanz der Telepräsenz zum Teil bei den Usern geht. Obwohl ihre virtuellen Identitäten nur aus einem Nickname bestehen, der sich lediglich auf Textbasis äußern kann, erscheinen sie ihren Besitzern genauso real wie ihr Real Life. Wenn aber die Wahrnehmung bestimmter Gruppen so weit geht, dass Ihnen Hochzeiten in virtuellen Gemeinschaften als normal erscheinen, dann wird das vermutlich auch für die Wahrnehmung von Theater in diesen Communities gelten. Zweitens zeigen die genannten Beispiele, eine wie große Rolle der Körper in der scheinbar körperlosen Welt des Internet spielt. Das Extrembeispiel Cybersex macht deutlich, wie entscheidend der ständige Bezug auf den Körper ist. Der Verlust des realen Körpers - oder die Befreiung von ihm - führt sofort zu einer virtuellen Neukonstruktion. "No matter, how virtual the subject may become, there is always a body attached" schreibt die Medienwissenschaftlerin Rosanne Stone [15] . Telepräsente Kommunikation ist also nicht körperlos, sie ersetzt lediglich den realen Körper durch einen virtuellen. Dabei soll hier keinesfalls behauptet werden, dass zwischen dem realen Körper auf der Bühne und dem virtuellen, gleichsam mitgedachten Körper der synchronen computergestützten Kommunikation kein Unterschied bestünde. Natürlich ist der virtuelle Körper nur ein dumpfer Abglanz des realen, und die Kommunikation im Netz erscheint unendlich beschnitten, vergleicht man sie mit den mannigfaltigen verbalen wie nichtverbalen Äußerungsmöglichkeiten, die ein realer Körper bietet. Dies ist aber kein Problem der synchronen computergestützten Kommunikation per se, sondern lediglich ein Problem der technischen Machbarkeit. Beobachtet man die rasante Entwicklung der letzten Jahren, so fällt auf, dass neue Kommunikationstechniken vor allem immer mehr Körper bieten. Den reinen Textwelten des IRC und der MUDs folgten graphische 2D-Chatsysteme wie Palace, die wiederum von 3D-Technologien wie Cybercity, Activeworlds oder dem Online Spiel Ultima Online abgelöst wurden. In diesen Systemen ist der Körper als individuell zu verändernder Avatar längst für alle sichtbar. Die neuen Technologien des Internets erweitern die Präsenz zur Telepräsenz. Damit erweitern sich aber auch die eng mit der Präsenz verbundenen Begriffe und Erscheinungen des Körpers und des Theaters. Statt in einer simplen sprachlichen Analogie von Teletheater zu sprechen, möchte ich für das Theater der Telepräsenz den Begriff Virtuelles Theater vorschlagen. Er weist deutlich auf die Gemeinsamkeiten mit dem Theater hin und verschweigt dennoch nicht die Unterschiede. Welche Zukunft das Virtuelle Theater haben wird, ist freilich fraglich. Auffällig ist, dass ein Großteil der hier beschriebenen Projekte in den Jahren 1993 bis 2000 stattfand, es danach aber kaum mehr Experimente dieser Art gibt. Dies mag generell mit der veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung des Internets zusammenhängen. Es liegt aber sicher auch an den sich ständig verändernden technischen Möglichkeiten des Netzes. Mit der Verfügbarkeit von Breitbandübertragungsraten richtet sich das Interesse der (Theater-) Netzkünstler vor allem auf Technologien wie Webkameras und Videoconferencing. Das Abbild des realen Körpers verdrängt den virtuellen, was freilich nicht nur Vorteile hat. Die ungebändigte Lust an Anonymität und Verstellung, die den IRC prägt, geht genauso verloren wie die einmalige Möglichkeit der MOOs, gottähnlich jederzeit alles mögliche zu erschaffen. Der reale Körper erscheint (wieder) auf der Bildfläche. Welcome back to real life. [horbelt@gmx.net] [11] Burns, Elizabeth: Theatricality. London 1972, S. 13 [12] Höflich, Joachim: Technisch vermittelte interpersonelle Kommunikation, Opladen 1996, S. 59 [13] Turkle, Sherry: Leben im Netz, Reinbek 1999, S. 293 [14] Turkle, Sherry: Leben im Netz, Reinbek 1999, S. 16 [15] Stone, Rosanne: Will the real body please stand up? In: Benedikt, Michael (Hrsg.): Cyberspace. First Steps. Cambridge 1994 Seiten: 1 - 2 - 3 - zurück zur Übersicht Theorie |
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